Interview mit der Ostsee-Zeitung vom März 2020

Ostsee-Zeitung

15:00 24.03.2020

Sonderthemen

Unterstützung nach der Geburt

„Nicht nur das Baby, auch eine NEUE MAMA wird geboren“

Kathleen Stein, Mutter von zwei Kindern aus dem Landkreis Rostock, absolvierte eine eineinhalbjährige Ausbildung zur Mütterpflegerin bei der Gesellschaft für Geburtsvorbereitung – Familienbildung und Frauengesundheit. Foto: Richterfotografie.de

 

Kathleen Stein ist als Mütterpflegerin unterwegs, um Eltern nach der Geburt zu Hause zu unterstützen. Das Berufsbild ist neu in Mecklenburg-Vorpommern. Wie sie Müttern konkret hilft und warum ihre Arbeit wichtig ist, erzählt sie im Interview.

Was unterscheidet eine Mütterpflegerin von einer Hebamme?

Bei den Hebammen steht die fundierte medizinische Beurteilung von Mutter und Kind im Vordergrund. Eine Hebamme hat eine klinische Ausbildung absolviert und schaut sich den gesundheitlichen Zustand der Mutter sowie die Entwicklung des Neugeborenen an. Sie beantwortet Fragen und hilft der Familie in der Wochenbett-Zeit. Die Arbeit einer Hebamme ist nicht zu ersetzen. Sie kann aber sinnvoll ergänzt werden – und da komme ich dann ins Spiel: Ich nehme mir Zeit für die Mutter. Ich höre ihr zu, koche für sie oder gehe mit dem Baby spazieren, wenn sie schlafen oder duschen möchte. Ich kümmere mich um das Wohlbefinden der Mutter und trage auf diese Weise zu einer gesunden Entwicklung des Babys bei. Ich bemuttere die Mutter, das ist mein Job.

Sollte jede Mutter eine Mütterpflegerin haben? 

Die meisten erfahrenen Mütter benötigen meine Unterstützung nicht so stark. Aber für Frauen, die das erste Mal Mutter werden, tut sich eine neue Welt auf. Man darf nicht vergessen, dass neben dem Baby auch eine neue Mama geboren wird.
Ein Wochenbett heißt heute oft, dass man allein mit dem Baby zu Hause ist, kaum schläft, sich schlecht ernährt, keine Zeit zum Duschen hat und das Baby manchmal stundenlang schreit, obwohl es doch gesund, satt und sauber ist. Das ist eine Ausnahmesituation, die an den Nerven rüttelt. Und in solch einer Situation hilft es schon, dass einfach jemand da ist, der zuhört. Und der auch sagt, dass das alles ganz normal ist, aber irgendwann besser wird. Das beruhigt. Und je besser es der Mama geht, desto besser entwickelt sich das Kind.

Wie helfen Sie den jungen Müttern denn am ehesten?

Das ist ganz unterschiedlich. Ich höre erst einmal zu. Oft wollen Mütter einfach nur reden. Sie wollen beispielsweise die Geburt noch einmal schildern oder ihre Zweifel offen zugeben. Oder schlafen! Viele Mütter leiden unter Schlafmangel. Dann gehe ich mit dem Baby spazieren oder betreue es im Nebenzimmer. Wenn die Wäscheberge sich türmen und der Haushalt brach liegt, dann wasche ich Wäsche und räume auf. Oder ich kaufe ein und koche etwas Gesundes, weil es seit Tagen nur noch Snacks gegeben hat.

Oft bin ich auch eine Art Modell, wie man achtsam mit einem Baby umgeht. Eltern beobachten mich zum Beispiel, wenn ich ein Baby anziehe. Da suche ich erst den Kontakt über die Augen und erzähle dem Kind ruhig, was ich tue, während ich es anziehe. Was relativ logisch ist: Ich möchte ja auch nicht plötzlich einen Pullover von hinten über den Kopf gezogen bekommen, während ich am Laptop arbeite. Aber solche Selbstverständlichkeiten müssen erlernt werden – woher sollen Eltern das wissen? Sie handeln interessanterweise meist intuitiv richtig. Aber sie brauchen hin und wieder auch jemanden, der sie in ihrer Einschätzung bekräftigt, damit Unsicherheiten abgebaut werden.

Der Beruf der Mütterpflegerin ist ja relativ neu. Warum gibt es ihn erst jetzt?

Stimmt, ich bin wohl die erste Mütterpflegerin in Mecklenburg-Vorpommern. In anderen Bundesländern wie Berlin gibt es schon viele und sie werden gut angenommen. Wahrscheinlich wurde der Bedarf an diesem Job lange nicht gesehen – einfach deshalb, weil es das Problem so viele Jahrhunderte lang nicht gab. In Zeiten der Großfamilie hatte jeder schon mal Babys auf dem Arm oder hat sie gefüttert, man kannte Frauen im Wochenbett von zu Hause. Nach einer Geburt war mindestens Oma da, die kochte und Tipps gab, oder Geschwister, die mit dem Baby spazieren gingen.

Heute grassiert größtenteils Ahnungslosigkeit: Zwar gibt es Geburtsvorbereitungskurse, aber die tatsächliche Situation trifft Eltern unvorbereitet. Geburten finden häufig im Krankenhaus statt. Nach drei bis fünf Tagen wird man entlassen und niemand wartet zu Hause, der sich auskennt oder unterstützt. Die Hebamme hilft, kann aber berufsbedingt nicht wirklich viel Zeit mitbringen. Und dazu kommt bei vielen Eltern noch der Druck, dass alles perfekt funktionieren soll und auch der Job noch klappt. Aber die Situation ist nun einmal neu und vieles funktioniert nicht wie in den Ratgebern beschrieben.

Das alles verunsichert – und Kinder merken das deutlich! Ideal für ein Baby ist eine ruhige, stressfreie Umgebung mit viel Körperkontakt zu Mutter und Vater. Mütter brauchen individuelle Unterstützung und vor allem Zeit, um sich an die neue Rolle zu gewöhnen. Das sehen glücklicherweise auch die Krankenkassen so.

In welchen Fällen kann Ihre Arbeit bei der Kasse abgerechnet werden?

Die Hebamme oder ein Arzt müssen eine Verordnung ausstellen, die im Rahmen der Haushaltshilfe bei der Kasse abgerechnet werden kann. Das kann der Fall sein, wenn die Mutter nach einem Kaiserschnitt im Wochenbett liegt, eine komplizierte Wundheilung hat, unter einer Brustentzündung leidet oder sich eine Wochenbettdepression anbahnt. Wenn der eigene Haushalt nicht mehr zu schaffen ist oder die Nerven blank liegen, empfiehlt sich der Einsatz einer Mütterpflegerin. Interview: Kristin Schröder


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